08.09.2008
Auf den Tag genau zum 50. Mal jährt sich am 27. September die Einweihung des neuen Gaggenauer Rathauses. Das alte war dem Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs zum Opfer gefallen. Die Stadt nutzt den 50. Geburtstag des Rathauses, um an diesem Tag eine Feierstunde zu veranstalten. Sie beginnt um 10.30 Uhr im Bürgersaal des Rathauses, und die Bevölkerung ist dazu herzlich eingeladen. In der „Gaggenauer Woche“ blicken wir im Vorfeld des Festtags auf die Entstehung des Rathauses zurück. Dazu hat die Leiterin des städtischen Archivs, Karin Hegen-Wagle, einen gründlich recherchierten Rückblick erstellt. Wir bringen ihren Text im Wortlaut, wobei heute die schlimmen Kriegsjahre und die schweren Jahre des Wiederaufbaus unmittelbar danach im Mittelpunkt stehen.
„Das Haus der Bürger soll es sein“, verspricht Bürgermeister Josef Hollerbach bereits im Oktober 1957 in seiner Rede anlässlich des Richtfests mit nachträglicher Grundsteinlegung für den neuen Rathausbau. Knapp ein Jahr später ist dieses Versprechen wahr geworden. Das neu erbaute Rathaus kann in einem festlichen Akt eingeweiht werden. 14 beschwerliche, entbehrungsreiche, einschneidende Jahre liegen hinter Bevölkerung und Stadtverwaltung, die in dieser Zeit vor fast unlösbaren Problemen und Aufgaben standen.
Der 10. September und 3. Oktober 1944 verändern das Leben in Gaggenau von einer Sekunde auf die andere, als feindliche Flugzeuge die Stadt mit dem Ziel bombardieren, Wohn- und Industrieanlagen zu treffen. Die offizielle Schreckensbilanz für Kernstadt und Stadtteil Ottenau mit insgesamt 8000 Einwohnern lautet 205 Tote und 94 Verletzte. 4500 Obdachlose und 2123 schwer beschädigte oder total zerstörte Häuser. Außer der Schule im Stadtteil Ottenau und der beschädigten kath. Kirche St. Jodok sind sämtliche öffentlichen Gebäude, das 1906/08 erbaute Rathaus, Kirchen, Schulen, Altersheime, Kindergärten, Bahnhof, Post und medizinisches Kneipp- und Heilbad, zerstört. In der Kernstadt gibt es weder Bäckerei noch Metzgerei. 70 Prozent der Stadt sind ein Ruinenmeer. Straßen und Wege sowie Wälder und Felder sind stark beschädigt, Kanalisation und Versorgungsnetz zusammengebrochen.Um noch größeres Durcheinander und Versorgungsengpässe zu vermeiden, beschließt der damalige amtierende Bürgermeister Adolf Martin (1933-1945), die 4500 Obdachlosen zu evakuieren. Sie werden von den umliegenden Gemeinden aufgenommen. Die Stadtverwaltung selbst wird in verschiedenen Privathäusern, die in der Hauptstraße und Rosengasse liegen, untergebracht. Nur die Kartenstelle, zuständig für die Versorgung der Bevölkerung, bezieht ihre Räume im alten Ottenauer Rathaus. Mangel an Arbeitskräften, Maschinen und Material erschweren den Versuch, kleine Schäden sofort notdürftig zu beheben. Jedoch können bis zum Einmarsch der Franzosen, am 11. April 1945, rund 1000 Notunterkünfte geschaffen werden.
Als kommissarische Bürgermeister, von den Franzosen nach der Entlassung des ehemaligen Bürgermeisters Martin, eingesetzt, verfolgen Heinrich Focken (1945-1946), Walter Bock (1946), Oskar Fritz (1946-1950) und Josef Hollerbach (1950) nur das eine große Ziel, das Leben in der Stadt für ihre Bewohner wieder einigermaßen erträglich zu gestalten. Diesem Wiederaufbaugedanken stehen in der Anfangsphase fast unüberwindbare Schwierigkeiten entgegen. Es fehlt durch diese Zerstörung einfach an allem: Aktenvorgänge, Leitungspläne, gesetzliche Vorschriften, Schreib- und Baumaterialien, Maschinen und Arbeitskräften.
Mit Verhandlungsgeschick, einem guten Gedächtnis, Arbeitswillen und gegenseitiger Unterstützung können die im Mittelpunkt stehenden vordringlichen Aufgaben wie Schutträumung, Instandsetzung der Kanalisation und des Versorgungsnetzes und die Voraussetzungen zum Wohnungsbau ermöglicht werden. Es werden Arbeitseinsätze organisiert, ein Abkommen „Arbeitskräfte gegen Lieferung von Materialien“ mit den Hourdiswerken in Baden-Oos getroffen.
In das Behelfsrathaus folgen Bezirkssparkasse und Arbeitsamt, 1947 das Postamt, das übergangsweise im Ottenauer Gasthaus „Zum Strauß“ untergebracht war. Städtische Häuserblocks in Viktoria-, Friedrich-Ebert-, Jahn- und Schulstraße werden instand gesetzt (1947/52), 19 Mehrfamilienwohnblocks im Stadtgebiet erstellt (1950/56), 1949 kann die Schillerbrücke wieder dem Verkehr übergeben werden, 1950 wird die kath. Kirche St. Josef, 1953 die ev. Markuskirche geweiht. Zur Wiederaufnahme des Einzelhandels werden Verkaufskojen errichtet (1950), ein neues wird Kino eröffnet. Weitere Bauten wie ev. Altenheim (1951), Notturnhalle (1952), Bezirkssparkasse (1952), Postamt (1953) und Bahnhof (1956) folgen.
Parallel dazu bauen Industrie und Handel ihre zerstörten Gebäude wieder auf, um mit Produktion und Verkauf zu beginnen, der private Wohnungsbau wird durch die Gewährung von Stadtdarlehen, Darlehensvorschüssen, durch Bereitstellen von baureifem Gelände gefördert. Langsam kommt auch das kulturelle und kommunalpolitische Leben wieder in Gang. Vereine und demokratische Parteien können ab 1946 wieder gebildet, Sport- und Sängerfeste organisiert werden. Für den 15. September 1946 genehmigt die französische Militärregierung Gemeinderatswahlen auf demokratischer Grundlage.
Am 10. Dezember 1950 wird der kommissarische Bürgermeister Josef Hollerbach von den Bürgern mit 75,8 Prozent der Stimmen auf neun Jahre zum Bürgermeister gewählt. Er tritt sein Amt offiziell am 1. Januar 1951 an. Im Oktober 1952 wird erstmals im Gemeinderat die Frage Wiederaufbau des Rathauses erörtert, die bis dahin als nicht vordringlich angesehen worden ist. (Fortsetzung folgt)
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