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Die Nacht, die keine Hoffnung mehr ließ: Vor siebzig Jahren brannten auch im Murgtal die Synagogen

05.11.2008

Verschwundene Idylle: Gartenwirtschaft des einst beliebten Gasthauses
Verschwundene Idylle: Gartenwirtschaft des einst beliebten Gasthauses "Adler" in Hörden, das am 10. November 1938 das Opfer von Terror und Gewalt wurde. Foto: Aquarell von Marie-Christine Bänder, ehemalige Schülerin des Goethe-Gymnasiums.
Verschwundene Idylle: Gartenwirtschaft des einst beliebten Gasthauses "Adler" in Hörden, das am 10. November 1938 das Opfer von Terror und Gewalt wurde. Foto: Aquarell von Marie-Christine Bänder, ehemalige Schülerin des Goethe-Gymnasiums.

In diesen Tagen, am 9. November, jährt sich zum 70. Mal die berüchtigte „Reichskristallnacht“, in der die Verfolgung der Juden durch das nationalsozialistische Hitler-Regime (1933-1945) ein bis dahin nicht gekanntes Ausmaß erreicht hat. Der pensionierte Oberstudienrat für Geschichte und Vorsitzende des Kulturrings, Ulrich Behne, blickt auf diese schlimme Zeit zurück und schildert die Geschehnisse direkt vor Ort in Gaggenau und im Murgtal.

Als am Vormittag des 10. November 1938 über der Stadt Gernsbach ein riesiger Rauchpilz zu sehen ist, da wird es bald allen klar, dass Nazi-Schergen die Synagoge in der Austraße in Brand gesteckt haben - eines von mehr als 1400 jüdischen Gotteshäusern, die ein gleiches Schicksal erleiden. Die Untaten stehen für den Höhepunkt einer Politik, die es systematisch darauf anlegt, die Juden aus Deutschland zu vertreiben.

In den ersten Jahren nach der „Machtergreifung“ durch die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 war in den drei Filialen der Gernsbacher Synagogengemeinde - Gaggenau, Rotenfels und Hörden - das gute Einvernehmen von Christen und Juden noch weitgehend erhalten geblieben. Doch dann verstärkten die Nazis die Hetze, so dass allmählich eine Atmosphäre entstanden ist, in der man es kaum noch wagen kann, einen Juden in der Öffentlichkeit zu grüßen, geschweige denn ein paar Worte mit ihm zu wechseln oder gar ein jüdisches Geschäft zu betreten. Und wer es dennoch tut, muss damit rechnen, von den Behörden zur Rechenschaft gezogen und in der NS-Presse als „Judenknecht“ diffamiert zu werden.

Drei jüdische Bürger sind seit 1933 verstorben - nicht mehr zu klären, inwieweit ihr Tod durch die Verfolgung mitverursacht ist. Die Witwen des Gaggenauer Viehhändlers Kahn, der Selbstmord verübte, und des Hördener Metzgers Emil „Schimmes“ Meier, der während der Wahlagitation im März 1933 einem Herzschlag erlag, wandern mit ihren Kindern aus, ebenso die Familien des Gaggenauer Textilkaufmanns Ladenburger und des Hördener Kolonialwarenhändlers Ettlinger-Nachmann. Der Rotenfelser Arzt Dr. Isidor Meyerhoff kann trotz seiner großen Beliebtheit bei der Bevölkerung dem Naziterror schließlich nicht mehr standhalten und flieht zusammen mit Frau und Kindern nach Mannheim.

Um Deutschland endgültig „judenfrei“ zu machen, plant man seit Beginn des Jahres 1938 in hohen Kreisen von Partei und Regierung „einen echten und dramatischen Pogrom großen Ausmaßes zu veranstalten“. Es fehlt nur noch ein Vorwand, den dann ein junger Jude namens Herschel Grynspan liefert. Dieser erschießt aus Zorn über die grausame Abschiebung seiner Eltern einen deutschen Gesandtschaftsrat in Paris. Propagandaminister Goebbels sorgt nach Absprache mit Hitler dafür, dass telefonisch alle Dienststellen im Reich aufgefordert werden, Aktionen gegen die „Verschwörung des Weltjudentums“ zu organisieren.

Der SA-Hauptsturm 3/111 Gaggenau, zu dem auch Männer aus den umliegenden Dörfern gehören, erhält den Auftrag, gegen die Synagogengemeinden der Region handgreiflich zu werden. Dies geschieht in Zivil, um den Ausschreitungen den Charakter einer spontanen Strafaktion des „Volkszornes“ zu geben. Der Tag nach der eigentlichen „Reichskristallnacht“ vom 9. November 1938 besteht aus einem aberwitzigen Programm, das nur Zerstörung und Demütigung kennt und die meisten Zeugen in fassungsloses Entsetzen treibt. Am Morgen wird die Synagoge in Malsch demoliert; am Vormittag äschert man das jüdische Gotteshaus in Gernsbach ein; am Nachmittag erfolgt das Gleiche in Kuppenheim, bevor man noch einmal nach Malsch fährt, um die Synagoge endgültig durch Brand zu zerstören. Um den Schrecken noch zu steigern, werden auch die Geschäfte und Wohnungen von Juden geplündert und demoliert.

Die Gemeinden Gaggenau und Rotenfels, die von den jüdischen Mitbürgern verlassen wurden, bleiben von der Orgie der Gewalt verschont. Nur vor dem jüdischen Kaufhaus Guggenheim, das ausschließlich christliches Personal hat, postiert sich eine Gruppe von „Pimpfen“ der Hitlerjugend, die jedoch von Eltern mit ein paar Ohrfeigen nach Hause geschickt werden. In Hörden bestehen noch zwei jüdische Häuser: die Gastwirtschaft „Zum Adler“ und das Textilgeschäft Julius Maier. Sie werden von SA-Trupps aus Gernsbach verwüstet und geplündert – eines der zahllosen Beispiele dafür, dass die Nazitäter eine Scheu haben, in der eigenen Heimatgemeinde gegen die verfolgten Mitbürger zu wüten. Jedoch werden auch in Hörden etwa zwölfjährige ortsansässige Pimpfe von einer Zeitzeugin dabei beobachtet, wie sie in einer eigenen Aktion Möbel aus der Wohnung des Ehepaares Maier auf die Straße werfen. Ihre Aussage erscheint glaubwürdig, auch angesichts der Tatsache, dass der Oberlehrer des Dorfes, der zugleich NS-Ortsgruppenleiter ist, seinen Schülern schulfrei gibt, damit sie sich die abgebrannte Synagoge in Gernsbach anschauen können. - Was in den knapp sechs Jahren Nazidiktatur auf die Kinder und Jugendlichen der HJ und die jungen Männer in SA und SS an antisemitischer Hetze und Propaganda eingedrungen ist, trägt jetzt seine Früchte.

Für die Opfer aber hat das Leid noch kein Ende. 2.000 jüdische Männer aus Baden und Württemberg werden in „Schutzhaft“ genommen und in das Konzentrationslager Dachau deportiert. Aus diesem werden sie im Allgemeinen nach drei Wochen wieder entlassen, wenn sie die Gewähr dafür bieten, Deutschland möglichst schnell zu verlassen. In dieser kurzen Zeit sind sie jedoch der brutalen Willkür der SS-Wachmannschaften ausgesetzt, die etwa vierzig Häftlinge nicht überleben, darunter auch der Adlerwirt Julius Stern.

Der Witwe Julie Stern und dem Ehepaar Julius und Emilie Maier gelingt die Flucht aus Deutschland nicht mehr. Oder fehlt ihnen der Mut, in einem fremden Land eine neue Existenz aufzubauen? Auf eine Zukunft in Deutschland ist nach den Demütigungen der „Kristallnacht“ jedenfalls nicht mehr zu hoffen. Die nächsten zwei Jahre werden die drei in Hörden Verbliebenen in bitterer Not und völliger Isolation verbringen – immer wieder neuen antisemitischen Verordnungen und Schikanen ausgesetzt.

Dann erfolgt plötzlich und unerwartet im Oktober 1940 die Deportation in das Pyrenäenlager Gurs. Zwei weitere Jahre später - die Möglichkeit einer Weltkriegsniederlage zeichnet sich ab - ist in Hitlers Umgebung von Vertreibung nicht mehr die Rede, sondern nur noch von Vernichtung. Gurs ist - wie es ein Gedenkstein in Gernsbach ausdrückt - zur Vorhölle des Konzentrationslagers Auschwitz geworden, in dem die drei Hördener umkommen werden.

Pressestelle Stadt Gaggenau
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